Spezielle Therapie
Neben der Standardtherapie, die im Ersatz des fehlenden Faktors besteht, gibt es noch eine Reihe von Optionen, die nur bei bestimmten Patienten oder in bestimmten Situationen zum Einsatz kommen.
Behandlung bei Hemmkörperbildung
Zum Glück gibt es heute einige Optionen, mit denen eine Blutstillung trotz Hemmkörpern möglich ist. Welche Methoden dabei eingesetzt werden, hängt vor allem davon ab, wie viele Hemmkörper vorhanden sind. Sollte eine hohe Anzahl von Hemmkörpern vorhanden sein, sind auch hohe Dosen von Faktorenkonzentrat nicht mehr wirksam. Dann werden oft sogenannte Bypassprodukte eingesetzt.
Bei der Hämophilie A mit Hemmköpern ist zur Prophylaxe von Blutungen zudem der Wirkstoff Emicizumab zugelassen. Dieser Wirkstoff imitiert die Wirkung von Faktor VIII, hat aber eine völlig andere Struktur und wird von den Hemmkörpern daher nicht angegriffen.
Immuntoleranz-Therapie
Ein dauerhafter Ausweg aus der Hemmkörperproblematik ist die sogenannte Immuntoleranztherapie. Dabei wird über einen gewissen Zeitraum regelmäßig ein Faktorenkonzentrat in sehr hohen Dosen verabreicht. Das Ziel dabei ist es, das Immunsystem an das Vorhandensein des Gerinnungsfaktors zu gewöhnen. Besonders gut sind die Erfolgsaussichten bei der Hämophilie A, wenn folgende Umstände vorliegen:
- Auftreten der Hemmkörper im Alter von unter sechs Jahren
- Relativ wenige Hemmkörper vor der Immuntoleranztherapie
- Beginn der Immuntoleranztherapie innerhalb von zwei Jahren nach dem Auftreten der Hemmkörper
- Keine Behandlungsunterbrechungen von mehr als zwei Wochen
Insgesamt führt die Immuntoleranztherapie bei ca. 80 Prozent der Patienten zum Verschwinden der Hemmkörper.
Bypassing mit aktivierten Faktoren
Da es sich bei der Blutgerinnung um einen komplizierten Prozess handelt, bei der ein Faktor den nächsten aktiviert, kann man die Gerinnung auch dann noch in die Wege leiten, wenn einer der Faktoren fehlt. Das kann man sich vorstellen wie bei einer Straße. Ist eine Straße gesperrt, kann man über eine Umleitung trotzdem zum Ziel kommen. Man umgeht die Blockade, was auf Englisch als "Bypassing" bezeichnet wird. Dieses Bypassing wird sowohl in der Prophylaxe als auch zur Stillung akuter Blutungen eingesetzt. Ist zum Beispiel Faktor VIII wegen Hemmköpern nicht mehr anwendbar, kann man die Gerinnung durch aktiviertes Prothrombin (das später in der Gerinnungskaskade aktiviert wird) wieder in Gang bringen. Eine andere Möglichkeit besteht in aktiviertem Faktor VII. Der Nachteil ist, dass diese Aktivierung vom Körper nicht so gut steuerbar ist wie der Ersatz des fehlenden Faktors. Deshalb kann es beim Bypassing zu einer überschießenden Gerinnung, also Thrombosen, kommen.Therapeutische bispezfische Antikörper (Emicizumab)
Ein Ansatz zur Prophylaxe von Blutungen bei Hämophilie A ist der bispezifische Antikörper Emicizumab. Er kann sowohl bei Hemmkörperbildung als auch bei schweren Krankheitsausprägungen eingesetzt werden. Obwohl es sich bei Emicizumab nicht um einen Gerinnungsfaktor handelt, kann es doch die Funktion von aktiviertem Faktor VIII in der Gerinnungskaskade imitieren.
Wirkprinzip
Emicizumab ist kein Gerinnungsfaktor, sondern von seiner Struktur her ein Antikörper. Anders als die Antikörper des Immunsystems dient er aber nicht der Krankheitsabwehr, sondern bedient sich lediglich des Schlüssel-Schloss-Prinzips, das allen Antikörpern zu Eigen ist. Er ist sozusagen eine Art Dietrich in dem Schloss, das normalerweise von aktiviertem Faktor VIII geöffnet wird. Konkret verbindet es zwei (daher bispezifisch) Faktoren, nämlich aktivierten Faktor IX und den Gerinnungsfaktor X, und ahmt so die Funktion des fehlenden aktivierten Faktor VIII nach.
Emicizumab ist derzeit nur für die schwere Hämophilie A oder die Hämophilie A mit Hemmkörpern zugelassen. Um die Gerinnung zu bestimmen, können die üblichen Tests im Labor nicht mehr genutzt werden, es bedarf einer speziellen Testung.